Mittwoch, 15. August 2018

Pflügen, pflügen, pflügen

Beim Auschecken im Hotel in Leipzig traf ich Barbara aus dem Erzgebirge. Sie arbeitet dort im Frühstücksservice und verabschiedet die Gäste. Wir kamen ins plaudern über meine Tour, worauf sie mir von ihren beiden älteren Kindern erzählte, die sicher auch von meiner Tour begeistert wären. Waren sie doch beide vor der Wende als Radsportler aktiv und das ganze Familienleben richtete sich nach deren Trainingsplan. Dreimal die Woche Training, am Wochende Rennen bestreiten. Aber nach der Wende, da war Schluss. Es gab keine Trainer und keine Infrastruktur mehr. Alles was noch an diese Zeit erinnert, sind die Rennräder der Kinder in Barbaras Keller. Ich erinnerte mich, dass ich nunmehr seit einer Woche am Rad sitze und letzten Mittwoch vom Linzer Hauptplatz gestartet bin. Wir sparten uns extra eine Flasche Sekt zu köpfen. Barbara und ich machten ein gemeinsames Selfie, ich schickte ihr es noch schnell über WhatsApp und entschwand im Wiegetritt die Stadt hinaus.

Gut fühlte ich mich! Die letzten Treffen waren wahre Bereicherungen! Den Kopf voller Glücksgefühle pflügte ich durch‘s Land. Nach ungefähr 20 Kilometer rollte ich an einem kleinen Laden vorbei, Weßely‘s Lebensmittel. Ich traute meinen Augen nicht, bremste und fuhr vor den Laden. „OMAS BRÜH-GURKEN“ stand auf einer Kreidetafel. Das fand ich spannend, weil ich mir darunter nichts vorstellen konnte. Ich öffnete die Tür und sah Hrn. Weßely in blauen Schurz alleine im Laden an der Kassa sitzen. Von dort dirigierte er mich von Regal zu Regal, damit ich meinen Proviant zusammensammeln konnte. Wir kamen ins Scherzen über Red Bull, über mich und meine Tour, ich zahlte, griff zum Türknauf, wo mir noch einfiel, warum ich eigentlich in diesem Geschäft war. Ich drehte mich nochmal wie Inspektor Columbo zu Hrn. Weßely zurück und sagte: Eine Frage hätte ich noch. Was sind Brühgurken? Er sprang auf, ging zur Wursttheke, erzählte ein Rezept, angelte mit einer Gurkenzange eine saftige Gurke (Anm. eine Salzgurke) aus einem Eimer und reichte sie mir. Ich nahm diese und biss knackig ab. Er meinte, diese solle mir für die nächsten 20 Km Kraft geben. Ich sagte, sie werde mich bis nach Erfurt bringen und er solle doch eine Marke damit machen und einen Fußballclub betreiben. Beide lachten wir lauthals und ich verabschiedete mich dankend. Mir war der Spaß mit Hrn. Weßely sicherlich im Gesicht anzusehen, wobei mir beim Wegschieben des Rades auf die Straße meine Radbrille zu Boden fiel und brach. Oh, shit! Was soll‘s! Ich steckte das kaputte Teil auf meine Nase und fuhr weiter.

Endlich wurden die kleinen Städtchen lebhafter und seit langem kam ich in den Weinbergen rundum Naumburg wieder in den Genuss kleiner Kraxlereien.

Hinter den Weinbergen kam wieder starker Wind auf. Ein Segen für die Windräder, ein Fluch für mich.

So kämpfte ich mich zur Radrennbahn nach Erfurt, der ältesten der Welt. Empfangen wurde ich von Christin, die mit mir zur Bahn ging, wo gerade die Pros, darunter Pauline Grabosch, trainierten. Somit war für mich kein Befahren möglich! Ich deutete noch an, dass ein Foto mit Pauline klasse wär, aber Christin entgegnete, dass dies den Sportlerinnen sicher nicht gefallen würde. So blieb es diesmal nur bei der Beschau. Dafür bekam ich von Christin eine neue Rennradbrille aus dem Fundus liegengebliebener Sachen!

Neu bebrillt geht’s morgen nach Göttingen, wobei ich diese Strecke Gerd und Gunda widme.




5 Kommentare:

  1. Frau Grabosch weiß sicher bis heute nicht, was ihr da entgangen ist.

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  2. Hervorragende Gurkengeschichte. Schön, was du alles erlebst. Gute Fahrt weiterhin und schöne Lieder!

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  3. Super Sache die du da durchziehst, danke für die Widmung, auch von Gunda! Alles Gute

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  4. Stutz, du bist a Höd! Super Geschichten

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  5. Ich lese mit Begeisterung deine Tagesberichte. Siehst du den Hut den ich vor dir ziehe. Liebe Grüße Hans

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